Mit Urteil 8C_639/2015 vom 6. April erlässt das Bundesgericht einen neuen Leitentscheid (zur Publikation vorgesehen) zur arbeitgeberähnlichen Stellung von Ehepartnern, die im Betrieb des Ehegatten tätig sind bzw. waren. Dabei wird grundsätzlich für die Arbeitslosenentschädigung die analoge Anwendung von Art. 51 Abs. 2 AVIG der Insolvenzentschädigung bestätigt, wonach im Betrieb mitarbeitende Ehegatten keinen Anspruch haben. Der Leistungsausschluss wird gemäss Urteil 8C_639/2015 erst mit dem Scheidungsurteil beendet.

Im konkreten Fall war die Beschwerdeführerin seit 2011 in der Einzelunternehmung ihres damaligen Ehemannes als Sekretärin und Stellvertreterin des Geschäftsführers angestellt. Im Dezember 2013 kündigte sie fristlos, nachdem ihr mitgeteilt wurde, die Zahlung des Lohnes könne nicht mehr sicher gestellt werden. Die Beschwerdeführerin meldete sich per 18.12.2013 zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung an und am 16.02.2014 wieder ab, nachdem sie eine neue Anstellung gefunden hatte. Die Ehe wurde am 21.02.2014 geschieden (Urteil Kreisgericht). Die Beschwerdeführerin machte geltend, sie lebe schon lange von ihrem Ehemann getrennt, welcher bereits seit 2012 ein Kind mit seiner neuen Lebenspartnerin habe. Die Trennung sei aussergerichtlich vereinbart worden, womit die Ehe unwiderruflich gebrochen wurde. Entgegen dieser Ausführungen hielt die Arbeitslosenkasse an der arbeitgeberähnlichen Stellung bis zum Scheidungsurteil, der gerichtlichen Trennung oder vom Richter verfügten Eheschutzmassnahmen fest (vgl. ALE- Praxis), weshalb für die Zeit vom 16.12.2013 – 17.02.2014 kein Anspruch auf Leistungen bestehe.

Das Bundesgericht schützt den Entscheid der Arbeitslosenkasse in dem Sinne, als dass gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Regelung in Art. 51 Abs. 2 AVIG für die Insolvenzentschädigung auch für die Arbeitslosenentschädigung anwendbar sei. Dabei gehe es um die Vermeidung von Missbrauchspotential. Es sei davon auszugehen, dass Ehepartner die Geschäftsentscheidungen erheblich mit beeinflussen können, weshalb Ehegatten ebenfalls eine arbeitgeberähnliche Stellung zu komme, welche den Bezug von Arbeitslosenentschädigung ausschliesse. In der bisherigen Rechtsprechung sei festgehalten worden, dass eine faktische Trennung – wie vorliegend – den Status der arbeitgeberähnlichen Stellung nicht beende. Es gäbe keinen Grund von dieser Rechtsprechung abzuweichen, insbesondere da im konkreten Fall diverse Anzeichen von «Gefälligkeitsbescheinigungen» des damaligen Ehemannes vorlägen. So sei erst kurz vor dem Scheidungsantrag ein Arbeitsvertrag unterzeichnet worden, obschon die Beschwerdeführerin seit vielen Jahren (anfangs unentgeltlich) im Betrieb mitgearbeitet habe. Auch der Grund für die fristlose Kündigung sei nicht ganz sicher, da es ausser dem Schreiben des damaligen Ehemannes keine Anzeichen für eine Zahlungsunfähigkeit gab. Einerseits seien die bisherigen Lohnzahlungen immer pünktlich erfolgt, andererseits bestehe die Firma noch heute. Zudem sei die Unterschriftenberechtigung der Beschwerdeführerin erst im Februar 2014 gelöscht worden.

Zusammenfassend hielt das Bundesgericht fest, dass erst mit dem Scheidungsurteil eine Entflechtung der finanziellen Situation und Interessen der Eheleute stattfinde. Während der Trennung könnten sowohl widerstreitende (so unter anderem bezüglich der Unterhaltsregelung) als auch gleiche Interessen (beispielsweise sozialversicherungsrechtliche oder steuerliche Auswirkungen von getroffenen Vereinbarungen) bestehen. Da somit bis zum Scheidungsurteil eine Missbrauchsgefahr persistiere, seien keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung geschuldet, unabhängig davon, ob und wie lange die Ehepartner faktisch oder gerichtlich getrennt leben oder ob gerichtliche Eheschutzmassnahmen angeordnet wurden.

 

Was ist neu am Leitentscheid?

Im konkreten Fall wurden die Leistungen der Beschwerdeführerin verneint, weil sie zum Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit zwar faktisch von ihrem Ehemann getrennt war, die Scheidung aber erst später erfolgt. Das Bundesgericht bestätigt damit die bestehende Rechtsprechung, wonach faktische Trennungen die arbeitgeberähnliche Stellung nicht beenden.

Gleichzeitig führt das Bundesgericht aber in einem einzelnen Satz aus, dass bis zum Scheidungsurteil eine Missbrauchsgefahr bestehe, weshalb – unabhängig von gerichtlicher Trennung und gerichtlicher Eheschutzmassnahmen – keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung geschuldet seien. Im konkreten Fall lag weder eine gerichtliche Trennung noch Eheschutzmassnahmen vor, weshalb deren Diskussion überrascht. Sollte das Bundesgericht – ihrem Entscheid folgend – zukünftig einzig auf das Scheidungsurteil zur Beendigung der arbeitgeberähnlichen Stellung von Ehepartner abstellen, würde es von den Weisungen des SECO in der AVIG- Praxis ALE B23 abweichen.

ALE-Praxis

(Quelle AVIG- Praxis ALE, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Stand 01.01.2015)

Während das Bundesgericht in E. 5.2.2 die gerichtliche Trennung und die gerichtlichen Eheschutzmassnahmen von den Gründen der Beendigung der arbeitgeberähnlichen Stellung von Ehepartner ausschliesst, führt es in E. 5.1. noch aus, diese Fragestellung habe das Bundesgericht bisher nicht beantworten müssen und sie stelle sich auch vorliegend nicht. Aus dem neuen Leitentscheid vom 6. April 2016 geht demnach nicht eindeutig hervor, ob es Wille des Bundesgerichts war, die gerichtliche Trennung und gerichtliche Eheschutzmassnahmen als Beendigungsgrund der arbeitgeberähnlichen Stellung auszunehmen und damit von den Weisungen des SECO in der AVIG- Praxis abzuweichen. Mit Sicherheit kann aber gesagt werden, dass faktische Trennungen – egal wie unwiderruflich die Ehe zerrüttet ist – den Voraussetzungen nicht genügen und somit kein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung besteht.

Jana Frässdorf, 01.05.2016